Ich-Struktur-Test Handbuch

Kapitel 7: Eichung

Günter Ammon, Gisela Finke, Gerhard Wolfrum

7 Eichung

Die Eichung des ISTA sollte an einer repräsentativen Stichprobe der erwachsenen deutschen Bevölkerung erfolgen. Das INFAS-Institut für Wirtschaftsforschung wurde mit dieser Untersuchung beauftragt. Die Erhebung erfolgte im November 1995. Der Test wurde innerhalb einer sogenannten „Omnibusbefragung“ (mehrere Fragenprogramme) an erster Stelle plaziert. Die Interviewer suchten die Probanden persönlich auf; nicht beantwortete Fragen wurden in einer Nachbefragung erhoben. Die Stratifierung der Stichprobe von N=1001 erfolgte nach den üblichen Kriterien (s. Tabelle 2). Zusätzlich wurde erfragt, ob sich die Probanden in einer psychotherapeutischen/psychiatrischen Behandlung befinden und ob sie psychopharmakologische Medikamente einnehmen.

Tabelle 2: Soziodemografische Beschreibung der Eichstichprobe

Tabelle 2: Soziodemografische Beschreibung der Eichstichprobe

7.1 Skalenkennwerte

Neben den Fragen der Reliabilität und Normierung wurden für die Eichstichprobe die Scores der 18 ISTA-Skalen getrennt nach Geschlecht und Alter berechnet. Es ergaben sich in den meisten Skalen signifikante Unterschiede, wie in Tabelle 3 und Tabelle 4 dargestellt ist.

Die geschlechtsspezifischen signifikanten Mittelwertunterschiede spiegeln die sozialisationsbedingten Geschlechtsrollensterotypien wieder:

Tabelle 3: Geschlechtsspezifische Unterschiede im ISTA in der Eichstichprobe (männlich: N = 474; weiblich N = 527, Mittelwertvergleich t-Test)

Tabelle 3: Geschlechtsspezifische Unterschiede im ISTA in der Eichstichprobe (männlich: N = 474; weiblich N = 527, Mittelwertvergleich t-Test)

Männer sind „aggressiver“ als Frauen, und zwar sowohl im konstruktiven als auch im destruktiven Bereich. Frauen sind „ängstlicher“ als Männer, sie verfügen im Mittel über weniger konstruktive Angst und weisen mehr Anteile an destruktiver Angst auf.

Männer können sich besser nach außen hin abgrenzen als Frauen, d.h. z.B. ihre Interessen vertreten. Demgegenüber sind Frauen in der Außenabgrenzung signifikant defizitärer, d.h. z.B. weniger in der Lage, Bedürfnisse zu äußern und zu vertreten.

In der Abgrenzung nach innen, also dem Zugang zum Unbewussten und den eigenen Gefühlen, unterscheiden sich die beiden Geschlechter nicht signifikant. Frauen sind jedoch — worauf der höhere Wert bei der defizitären Abgrenzung nach innen verweist — offener in der Abgrenzung nach innen.

Im Narzissmus, d.h. dem Selbstwertgefühl, finden sich keine signifikanten Unterschiede zwischen Männern und Frauen.

In der Sexualität weisen Männer signifikant höhere Werte bei der konstruktiven und destruktiven Sexualität aufund niedrigere bei der defizitären. Auch dies entspricht dem Rollenmuster von Männern als dem sexuell aktiveren Part.

Die Frage, ob diese geschlechtsspezifischen Unterschiede insgesamt es rechtfertigen, für Männer und Frauen getrennte Normen aufzustellen, ist jedoch zu verneinen. Zum einen sind die numerischen Unterschiede nicht gravierend. Sie bewegen sich zwischen 1,1 (konstruktive Sexualität) und 0,4 (defizitäre Abgrenzung innen), und betragen damit nur einen Bruchteil der Standardabweichung.

Die ISTA-Ergebnisse in der Eichstichprobe bezogen auf die Altersstufen zeigen einen deutlichen Effekt im Vergleich der Probanden, die jünger als 50 Jahre sind gegenüber den über Fünfzigjährigen.

Tabelle 4: Altersspezifische Unterschiede im ISTA in der Eichstichprobe

Tabelle 4: Altersspezifische Unterschiede im ISTA in der Eichstichprobe

Bei den über Fünfzigjährigen liegen alle konstruktiven Ausprägungen signifikant unter denen der Jüngeren; d.h. sie verfügen im Mittel über weniger konstruktve Aggression, Angst, Abgrenzung nach außen und innen, Narzissmus und Sexualität. Besonders deutlich sind die Unterschiede in den Skalen zur konstruktiven Aggression, dem konstruktiven Narzissmus und in allen Sexualitätsskalen. Wie andernorts veröffentlicht (Finke, Wolfrum 1996) repräsentiert dies möglicherweise eine gesellschaftliche Tendenz eines „Defizitmodells des Alters“ insbesondere, was die gelebte Sexualität anbelangt, aber auch die konstruktive Aggression als Offenheit gegenüber neuen Erfahrungen, die konstruktive Angst als „vernünftige“ Risikobereitschaft und — daraus folgend — eine Selbstwertproblematik, die auch indirekt das kulturell bedingte geringere Ansehen des Alters wiederspiegelt. Die Unterschiede rechtfertigen für den ISTA Altersnormen für unter versus über Fünfzigjährige (s. Kapitel 6).

7.2 Skaleninterkorrelationen

Die Interkorrelationen der ISTA-Skalen in der Eichstichprobe sind Tabelle 5 zu entnehmen.

Die Skaleninterkorrelation bewegen sich insgesamt in den zu erwartenden Richtungen, d.h. die konstruktiven Ausprägungen korrelieren positiv untereinander, aber negativ mit den destruktiven und defizitären Skalen. Die gemeinsame Varianz liegt zwischen 49 (Konstruktive Aggression/konstruktiver Narzissmus) und 36 Prozent (Konstruktive Aggression/konstruktive Abgrenzung innen). Die destruktiven Ausprägungen der Skalen korrelieren insgesamt positiv mit den destruktiven und defizitären Ausprägungen der anderen Skalen im Sinne eines allgemeinen „Pathologiefaktors“. Insgesamt sind die Interkorrelationen jedoch nicht zu hoch, so dass von der Unabhängigkeit der Skalen ausgegangen werden kann.

Ein besonderers Augenmerk verdienen die folgenden Zusammenhänge:

Destruktive Aggression bildet die höchste Korrelation (r = .64) mit destruktiver Sexualität, dies verweist auf die Gemeinsamkeit dieser beiden Konstrukte.

Destruktive Aggression korreliert aber auch (r = .42) mit konstruktiver Aggression sowie auch allen anderen Skalen, die konstruktive, d.h. gesunde Anteile erfassen. Dies steht in Übereinstimmung mit der humanstrukturellen Theorie (vgl. Ammon 1981, 1982), dass beim gesunden Menschen immer auch gewisser Anteil an destruktiver Aggression vorhanden sein muß, um sich z.B. von überkommenen Normen oder Lebensbedingungen trennen zu können. Dies gilt insbesondere, so Ammon, für den kreativen Prozess. Die Schaffung von Neuem erfordert — zumindest vorübergehend — eine Vernichtung des Alten. Destruktive Aggression ist aber auch notwendig, um auf destruktive Aggression anderer reagieren zu können. Auch destruktive Phantasien (z.B. Item 104: „Ich male mir oft aus, wie schlecht es denen gehen müßte, die mir Unrecht tun.“) spielen für die Psychohygiene eine gewisse kathartische Rolle. Destruktive Aggression wird jedoch problematisch und u.U. auch pathologisch, wenn sie nicht durch konstruktive Strukturanteile reguliert werden kann und/oder mit hohen Ausprägungen von defizitärer Aggression gepaart ist. Ist letzteres der Fall, ist zu vermuten, dass die Person die destruktive Aggression nach innen gegen die eigene Person richtet.

Ist hohe destruktive Aggression mit hoher defizitärer Angst gepaart, ist also die Fähigkeit, Angst zu spüren gestört, entfällt der Schutz der Angst etwa vor negativen Konsequenzen der geäußerten Aggression (vgl. hierzu auch Kap. 2.1).

Ebenfalls auffällig sind die hohen Interkorrelation von destruktiver und defizitärer Angst in der Eichstichprobe. Sie verweisen auf den Zusammenhang zwischen Vermeidungsverhalten und Verdrängung als Folge destruktiver, überschwemmender Angst. Höher noch als mit defizitärer Abgrenzung nach innen (r = .63) korreliert destruktive Angst mit der destruktiven Abgrenzung nach innen (r = .70), wobei anzunehmen ist, dass die „Angst vor der Angst“ zu einer destruktiven Abgrenzung nach innen beiträgt.

Tabelle 5: Interkorrelation der ISTA-Skalen untereinander (Eichstichprobe, N=1001)

Tabelle 5: Interkorrelation der ISTA-Skalen untereinander (Eichstichprobe, N=1001)